Tahsim Durgun - Mama, bitte lern Deutsch

Da ist es. Das Buch das sehr lange ausverkauft war und dessen Entstehung ich am Rande bereits auf Instagram mitbekommen habe. Die Kritiken waren voller Lob, es wird bereits in Schulen gelesen und eine Verfilmung wird auch nicht mehr lange dauern. Ich habe vor gut zwei Stunden mit dem lesen angefangen, bin durch die Kindheitserinnerungen von Tahsim gerauscht, habe seine Mutter noch mehr lieben gelernt und habe mehrmals geweint. 

Vieles ist einfach so unfair und viele Menschen sind diesem perfidem System so ausgeliefert (gerade in Bezug auf die Ausländerbehörde) - mir geht der Arsch bei jeder Geschichte einfach auf Grundeis. Eine Welt die ich nie kennengelernt habe, daher ist mir diese Perspektive so wichtig. Tahsim macht einen verdammt guten Job in diesem Buch. Mit feinem Humor, Ernst - wo es nötig ist, tiefer Liebe & Verbundenheit zu seiner Familie und dem klaren Benennen von Dingen wo es hakt im gesamten System. 

Dabei zeigt er schön die zwei Seiten, die es nunmal gibt. Die Wut auf die Mutter, die seit über 20 Jahren in Deutschland ist, jeden Tag gearbeitet hat und sich um die Familie kümmert, sich Mühe gibt, trotzdem aber nur schlecht Deutsch spricht und nicht lesen kann. Gleichzeitig aber auch die tiefe Liebe zu ihr, wie sie sich aufopfert, sich selbst zurückstellt und auf die Hilfe ihrer Kinder angewiesen ist. 
Tahsim wurde in Deutschland geboren, trotzdem hatte er jahrelang nur eine Aufenthaltsgenehmigung. Irgendwann gab es einen Brief, dass er und seine drei Geschwister abgeschoben werden sollen. Das muss man sich mal vorstellen. Kinder, vielleicht 12-14 Jahre alt, bekommen die Nachricht, dass ihre Aufenthaltsgenehmigung nicht verlängert wird und sie somit abgeschoben werden können. Hier, vier Wochen Zeit um Widerspruch einzulegen. Es ist und bleibt einfach unfair. Das macht mir so zu schaffen. Und ich sitz nicht mal in diesem System drin! Ich kann mir das auf der Couch alles durchlesen, ja. Für mein Verständnis der Welt und meinem Empathievermögen ist dieses Buch sehr hilfreich. Es zeigt eben ein mal mehr, dass Menschen, egal welche Herkunft, welche Hautfarbe oder welche Religion sie haben, alle eine Geschichte mit sich tragen. Diese Geschichten sind mehr als nur Sammelbegriffe. 

Wir sollten alle lernen, mehr zuzuhören. Besonders wenn Menschen sich die Mühe machen und ihre Geschichten oder die Geschichten ihrer Familie zu erzählen. Oder aufschreiben. So wie hier. Ich würde mir sehr wünschen, dass alle dieses Buch lesen. Ob man nun Verständnis für eine Frau aufbringt, die Hefe immer noch konsequent Hifa nennt oder nicht, es vermittelt ein Gefühl von dem, was tagtäglich ausgehalten werden muss, von Menschen mit Migrationshintergrund, einem nicht Deutsch-klingenden Namen, einer anderen Hautfarbe etc. 

Weniger einscheißen vor „Fremden“ und mehr zuhören. 

Ein paar Zeilen die ich mir angestrichen habe im Buch: 

„Manchmal, so denke ich heute, ist es egal, welche Sprache der Empfänger spricht, denn Schmerz folgt keiner Grammatik, Schmerz sprechen wir alle.“ (S. 64) 

Nach einem körperlich gewalttätigem Termin bei der Ausländerbehörde fragt Tahsim seine Mutter, ob sie noch Schmerzen hat. Darauf antwortet sie auf kurdisch:
„[…] Was mich aber am wütendsten macht, ist ihre Verlogenheit. Immer nur fordern und nie zufrieden sein, ihre Bitten sind immer heiß, aber ihre Dankbarkeit ist kalt.“ (S. 117) 

„Es hatte heute nicht gereicht. Obwohl wir alle Unterlagen bei uns hatten, war es nicht genug. Meine Schwester war heute geschlagen worden. Meine Mutter war heute gedemütigt worden. Wir waren heute als Teufelsanbeter beschimpft worden. Aber nichts davon war genug.“ (S. 118) 

Hier noch der Link zu Tahsims Intagram Profil. Kann euch nur empfehlen da mal reinzuschauen. Guter Typ. Folge ihm schon länger dort. 




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