Sina Scherzant - Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne
Romane sind ja eigentlich nicht so mein Genre. Schließlich steht und fällt alles mit der Geschichte an sich. Diesen Titel habe ich mal in einer Story von Teresa Reichl aufgeschnappt. Die Autorin kannte ich schon von ihren Romanen zusammen mit Marius Nolte. Was soll ich sagen? Es ist eine sehr gute Geschichte und ich hab die 366 Seiten an zwei Tagen durchgelesen. Es ist in drei Teile geteilt. Im ersten lernt man die Protagonistin Katharina „Katha“ kennen. Sie hat noch eine jüngere Schwester, Nadine, und lebt mit ihren Eltern in Bad Driburg. Leider nicht lange, denn die Eltern lassen sich scheiden und zusammen mit ihrer Mutter und Nadine zieht sie nach Dortmund-Hombruch. Katha ist eine absolute people pleaserin. Das wird hier sehr schön aufgearbeitet. Sie will es allen Recht machen, nimmt sich immer zurück, kümmert sich um alles und nennt sich selbst eine Lebenshandwerkerin (später kommt noch ein Chamäleonskill mit dazu). Nur eben für andere und nicht für ihr eigenes Leben. In Dortmund findet Katha dann Anschluss an eine Mädchengruppe und lernt darüber Angelica kennen. Angelica ist die Mutter von Sofie die die geheime Anführerin der Truppe ist. Dort findet Katha zum ersten Mal eine Bezugsperson die ihr zuhört, gute Ratschläge gibt und ihr nicht das Gefühl vermittelt zu viel zu sein. Viele Themen sind da mit eingewoben, sei es das erste Date, sexuelle Orientierung, andere Lebenswelten und ein völlig neues Familienbild.
Im zweiten Teil geht es dann um die Erkrankung von Angelica und ihren Tod. Die Trauer die darauf folgt ist nur schwer in Worte zu fassen, wurde in diesem Buch aber meiner Meinung nach ziemlich gut getroffen. Trauer ist sehr individuell und davon ein geschriebenes Bild so gut zu treffen, ich bin ehrlich, davor ziehe ich meinen Hut. Da man Katha im ersten Teil sehr gut kennenlernt, weiß man ziemlich schnell was dieser Verlust bedeutet. Da spielt so viel mit rein. Die Angst nicht genug getan zu haben, die Stimme im Kopf die dir immer wieder einredet „Du bist Schuld, du hast viel zu viel Raum eingenommen“, all das Leid das über die Jahre hinweg immer ausgehalten wurde, kommt hier mit einem Schlag zurück und führt zu kompletten Leerstellen. Das geht ein Jahr lang so. Nadine dringt irgendwann zu ihr durch und kann sie aus ihrem persönlichen Krater herauslocken.
Im dritten Teil geht es dann in das jetzt. Gut 10 Jahre später und mit neuen Ereignissen sowie Erkenntnissen über das Leben, über die Zeit im Alter von 14-15 Jahren. Das ist eben der Punkt, der das alles für mich rund macht. Denn diese Geschichte ist nicht aus der Perspektive der 14-jährigen Katha geschrieben, sondern von der bereits erwachsenen Katha, die zurückblickt und vieles von damals direkt einsortiert, kommentiert und teilweise analysiert. Dadurch wird es nicht zu einer platten coming of age Story, mit lauter Klischees und fragwürdigen takes. Klar, die gibt es schon, werden aber direkt eingefangen weil die erwachsene Katha einschiebt „Ich wusste das damals noch nicht aber…“.
Wahrscheinlich bin ich durch die Seiten so geflogen, da ich mich in vielen Situationen mit Katha sehr identifizieren konnte. Die ganze Story wurde sehr klug in die anfänglichen 2000er Jahre gesetzt. So kann der Hamster Zlatko heißen und die Verbindung zu Big Brother steht. Schwere Themen werden so immer wieder etwas gelockert, was diese Geschichte sehr rund macht. Dieses Buch hat mir wirklich gut gefallen. Allen die einen Roman suchen, sei dieser hier sehr ans Herz gelegt.
Ich habe einige Passagen im Buch angestrichen, wenn ich sie so lese, scheint es sehr düster zuzugehen. Das ist korrekt aber eben nur zum Teil, denn es gehört mit dazu, bestimmt aber nur für einen Zeitraum alles. Daher hier ein paar Zitate:
„Meine Güte, das Leben war manchmal so unendlich traurig, dass es einem bei genauerer Betrachtung fast zynisch vorkam. Wer dachte sich so was aus?“ (S. 89)
„Alles, was ich tat, tat ich von da an für sie. Oder ich tat es für mich, weil ich mich selbst nicht ertrug, wenn ich mich nicht um andere kümmern konnte.“ (S.240)
„Ich ertrug meine eigene Lebendigkeit nicht.“ (S. 277)
„Noch nie zuvor hatte ich soviel Raum eingenommen. Das passte der Welt nicht in den Kram.“ (S.294)
„Alles war ganz normal. Alles war normal, und alles tat unaushaltbar weh.“ (S.299)
„Und ich denke daran, wie sie, viele Jahre bevor ich dank des Internets Worte für mein Verhalten und das vieler Freund:innen fand, immer wieder unterstrich, dass ich auf mich achten, mich selbst in den Blick nehmen und für mich einstehen sollte. Das mag einfach und irgendwie pathetisch klingen, aber am Ende ist es eben nur das.“ (S. 326)
„Starren ist ganz anders als Sehen. Starren ist das Eigene, Sehen das Andere. Beim Starren bleibt der Blick kurz hängen an Auffälligkeiten, an Besonderheiten, aber letztendlich geht der Blick durch den Menschen als solchen hindurch und offenbart nur die eigene Unklarheit. Sehen verfängt sich, Sehen will mehr.“ (S. 335)
„Ich flüsterte mir ein, dass niemand es mit mir aushielte, dass meine Taten noch größer, meine Worte noch einfühlsamer, meine Zeit noch aufopferungsvoller genutzt werden mussten. Ich vergab mir nichts, ich flüsterte mir die schrecklichsten Dinge über mich selbst ein, ich war mir selbst die schlechteste Freundin. Doch der goldene Kern hinderte mich immer am großen Absturz.“ (S. 353)
„Am Ende entkommt niemand der eigenen Kindheit ganz unbeschadet.“ (S. 360)
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