Hank Zerbolesch - Gorbach
Ich weiß nicht mal mehr woher ich den Titel habe. Wo ich mir aber sicher bin, ist die Tatsache, dass es sehr gut ist, das ich mir alles irgendwo notiere und wenn es verfügbar ist, mitbestelle. Heute Morgen um vier Uhr habe ich mit dem lesen angefangen, nach 50 Seiten alles schonmal für gut befunden und bin ins Bett. Heute Nachmittag habe ich den Rest gelesen.
Gorbach ist ein Ort. Ein Stadtteil, ein kleines Dorf innerhalb einer Stadt oder eine Kleinstadt. Man könnte auch Problemviertel am Rand der Stadt oder Junkiehochburg sagen. Dieses Buch ist im Grunde ein kleiner Schaukasten in das Leben der Bewohner und Bewohnerinnen. Viele kleine und gebrochene Persönlichkeiten bekommen hier ihre große Bühne. Der irre Ele, der barmherzige Samuel, Andrej der ein Büdchen hat und einen Drogenring betreibt, der Mike-Mann, Akki, der die Parkbank arg belastet, die Kneipe „Das Kippchen“ in der Julia arbeitet, die Produzentin Key und so viele mehr. Es wird nichts beschönigt und manches ist ziemlich doll.
Wenn man sich den Vornamen vom Autor und den Titel vom Buch nochmal anschaut, werden die Parallelen zu Charles Bukowski sehr deutlich. Ich persönlich finde das überhaupt nicht schlimm, denn das Besondere an diesem Buch sind nicht unbedingt die einzelnen Schicksale, sondern das Netzwerk dahinter. Die Tristesse und die Gewalt sind sehr präsent aber es gibt ständig kleinere und größere Hinweise auf Verbindungen zwischen den Personen. Das ist einfach so gut gemacht, ich denk zum Beispiel immer noch über Andrej nach. Die Geschichten stehen so eben nicht für sich allein sondern erstrecken sich über das ganze Buch. Es fügen sich, über das gesamte Buch verteilt, immer mehr Details zusammen. Ohne es zu wollen, bremst man sich beim lesen, sucht nach Namen oder Verbindungen. Eine ganze kleine Welt auf 189 Seiten zu bauen ist sehr beeindruckend. Es ist eben mehr als nur pures Elend aufzuschreiben. Gewalt, Drogenmissbrauch, Alkoholismus auf einem anderem Level und doch schimmern die Persönlichkeiten dazwischen, die gescheitert sind, am System, am Leben und an den Anforderungen. Sie machen das Beste draus und leben zusammen mit den Junkies und allen anderen zusammen in ihrem Zuhause.
Das einzige persönliche Manko, dass ich gefunden habe, ist der sehr ausführlich beschriebene Heiligabend in seiner Perfektion. Ich weiß warum und wofür der Aufbau da ist (um alles mit dem Arsch wieder einzureißen am Schluss, natürlich) aber das war mir zu weit umschrieben und hat meinen Lesefluss ein bisschen einknicken lassen.
Das Kapitel Der Sandmann (S. 75-80) ist ein Monolog, den ich jetzt schon drei Mal gelesen habe. Er wird von einem Mann gehalten, der Selbstmorde ausführt. Wenn man sich selber nicht traut, kann man ihn beauftragen. Für Geld und man darf sich aussuchen, wie man von ihm dann umgebracht wird. Er macht meistens so um die zehn Stück im Monat und ärgert sich darüber, dass die allgemeine Statistik über Selbsttötungen, die von ihm getätigten, gar nicht mitzählt. Eine Systemkritik von einem System das im Schatten mitläuft. Das sind mit die besten fünf Seiten die ich in diesem Jahr gelesen habe. So viele Gegensätze, so viel Wut aber eben auch Erkenntnis, Klarheit und Direktheit in einem - ich wünsche mir von Herzen, dass dieser Monolog es auf irgendeine Bühne schafft. Stellt irgendjemanden auf ein Hochhausdach, in ein Parkhaus oder in eine runtergerockte Kneipe, lasst ihn das vortragen, filmt ihn und jagt das auf YouTube hoch.
Starkes Buch, kann es einfach nur empfehlen.

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