Ruth-Maria Thomas - Die schönste Version
Nicht alle Männer. Und trotzdem sind es immer Männer.
Dieses Buch hier bestärkt mich (mal wieder) in dieser Meinung. Es liest sich wie ein kompletter und schlimmer Unfall. Man weiß genau was kommt, kann aber nicht weggucken oder mit dem lesen aufhören. Habe den Buchtitel irgendwo auf Instagram aufgeschnappt und hab es gestern im Laden gekauft. 266 Seiten in knapp drei Stunden gelesen. Das geht, denn ich war emotional einfach direkt investiert. Es geht um das Beziehungsende von Jella und Yannick. Direkt vorab, es geht um Gewalt in der Partnerschaft. Wenn ihr über dieses Thema nichts lesen wollt oder Betroffene seid, dann bitte etwas Vorsicht walten lassen. Es wird teilweise sehr explizit und sehr brutal.
Das Buch geht damit los, das Jella bei der Polizei sitzt und eine Strafanzeige stellt. Yannick hat ihr mit der Faust in den Bauch geschlagen, sie fast bis zur Ohnmacht gewürgt, sie dabei beschimpft und ihr gedroht sie umzubringen. Sie kann sich befreien, rennt aus der Wohnung und klammert sich an eine unbeteiligte Frau, die ihr dann Anweisungen gibt. Sachen für ein paar Tage packen und zur Polizei. Das macht Jella und flüchtet danach zu ihrem Vater in die Wohnung. Ab da begleitet man sie dann 11 Tage lang. Mit all den Gedanken, Rückblenden in die Vergangenheit und dem Weg zum Ende.
Das ist alles sehr intensiv und ich habe einfach nur hilflos davorgesessen und „Ach du Scheiße“ gerufen. Teilweise musste ich das Buch für ein paar Minuten an die Seite legen, da ich vor Wut und Trauer nicht geradeaus denken konnte. Im Nachhinein sieht man alles soviel klarer und merkt was da passiert ist, diese Erkenntnis ist nur schwer auszuhalten. Besonders da die Autorin alles klar staffelt und Jella alles betrachten lässt. All die Zweifel, die Angst, die Sehnsucht, die Wut… es ist alles da und so präsent, dass es einfach nur wehtut. Denn irgendwie haben doch alle den Wunsch nach einem Partner oder Partnerin, einer nach Perfektion strebenden Beziehung die alle Klischees erfüllt. Es soll doch bitte die schönste Version sein. Buchtitel sehr klug gewählt. Dabei gilt seit jeher: Perfection is a lie.
Die Kompromisse, die sich einschleichen, die ersten Streitigkeiten, die teilweise Selbstaufgabe, damit es in der Beziehung funktioniert. Wenn all das mehr Raum einnimmt und irgendwann eskaliert, dann steht man vor den Scherben des eigenen Seins wenn nicht sogar des Lebens. Man muss nicht nur von vorne anfangen, sondern sich komplett neu finden. Der Weg dahin ist schwer. Und warum das so schwer ist, kann man an der Hauptfigur Jella verständlich und klar sehen.
Das Bild von Jellas Spiegel, den sie von ihrer Mutter bekommt, will mir einfach nicht aus dem Kopf. Sie bekommt einen bereits angeditschten Theaterspiegel zum Einzug in die gemeinsame Wohnung mit Yannick. Beim Einzug hat er bereits einen Riss. Yannick mag diesen Spiegel gar nicht und hängt ihn um, dabei entsteht der erste große Riss. Dann ein weiterer und als Jella Yannick darauf anspricht und ihm Vorwürfe macht, zerbricht der Spiegel auf Grund der Heftigkeit des Streits. Die Szene endet damit, das sie in den Scherben liegt und sich bei Yannick für ihre Heftigkeit entschuldigt. Danach eskaliert es dann komplett. Damit das hier einmal klar steht, Yannick ist das Problem. Ein manipulierendes, selbstherrliches Arschloch, dass ich nur mit kalter Verachtung betrachten kann. Nichts! Wirklich nichts gibt dir das Recht oder eine Rechtfertigung einem anderen Menschen gewaltsam die Luft zu nehmen.
Wenn ihr als Frau von Gewalt betroffen seid, findet ihr hier Informationen und Unterstützung: Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen
„Mein Körper ist einfach am Leben, macht einfach weiter, Haare wachsen, alles atmet, pocht und pulsiert, wie es atmen, pochen und pulsieren sollte, ein ganzes Leben, mein ganzes Leben lebt sich weiter, obwohl es sich so anfühlt, als wäre etwas von mir verschwunden.“ (S. 97)
„Im Bad lasse ich heißes Wasser über meine Finger laufen und schaue mich im Spiegel an. Wer bist du eigentlich?, frage ich mein blasses, mit Dampf verhangenes Spiegelbild. Was willst du?“ (S. 172)
Kurze Anmerkung dazu: ich habe mir die Frage „Was willst du?“ im Buch angestrichen und ein Ausrufezeichen daneben gemacht. Denn das war eine so elementare und wichtige Frage in diesem Moment. Das war die Kernfrage die da endlich geschrieben stand.

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