Jasmin Schreiber - Marianengraben
Ich bewege mich mal wieder auf etwas dünnem Eis. Hatte das Buch schon länger auf der Liste und selbst die Buchverkäuferin hat mir beim abkassieren noch reingereicht, was für ein tolles Werk das hier doch ist. Mhmm, ich und gehypde Bücher…
Die Geschichte an sich ist eigentlich schnell erzählt. Der zehnjährige Bruder, Tim, von Paula, der Protagonistin, ist im Mallorca Urlaub im Meer ertrunken. Paula war bei diesem Urlaub nicht dabei und kann mit ihren Schuldgefühlen und dem Verlust nicht umgehen, sie steckt in einer schweren Depression. Ihre Doktorarbeit in Biologie, Bereich Zoologie, steht erstmal hinten an. Sie rafft sich auf, geht zu einer Psychiaterin, bekommt Tabletten und Therapiestunden verschrieben. Die nimmt sie auch und auf Rat ihres Therapeuten geht sie nachts auf den Friedhof um dort das Grab ihres Bruders zu besuchen. Die beiden hatten ein sehr enges Verhältnis und Tim hat das Meer und Tiere absolut geliebt. Auf dem Friedhof trifft sie dann nachts um drei, den ca. 89 jährigen Helmut, der die Urne seiner Ex-Frau ausbuddelt. Gemeinsam flüchten sie vor den Friedhofsgärtern und keine 20 Stunden später sind die beiden auf einem gemeinsamen Roadtrip Richtung Bayern in die Berge, da wo Helmut aufgewachsen ist. Helmut hat ein Wohnmobil und es reisen mit Judy, die Schäferhündin von Helmuts verstorbener Ex-Frau Helga und später kommt noch Lutz, das Huhn, mit dazu. Grund für Helmuts Tour, der leider gesundheitlich sehr angeschlagen ist, ist das Versprechen an Helga, mit ihr nochmal in die Berge zu fahren. Das Ende von allem Spoiler ich hier mal nicht. Nach der Hälfte des Buches ist aber relativ klar, was das wird und wie es endet.
So. Schön finde ich den gesetzten Kontrast von Marianengraben, also tief unten im Meer, und der Reise in die Berge. Also völlig entgegengesetzt aber storytechnisch sehr passend und gut ausgearbeitet. Der Marianengraben ist 11000 Meter tief. Die Kapitelnamen sind von 11km abnehmende Zahlenwerte bzw. Tiefenangaben. Das findenden einen richtigen schönen Touch. Ich habe hier die Schmuckausgabe des Buches, was bedeutet, die Ränder mit den Seiten sind allesamt mit bedruckt. Ja, mit sowas kriegt man mich. Ist schon sehr schick, bin ich ehrlich. Paula und Helmut sind zwei gut ausgearbeitete Hauptcharaktere, die sich die Bälle sehr schön zu spielen. Beide haben ihre Pakete zu tragen. Helmut durch sein Alter ein bisschen mehr und daher eine Hilfe für Paula um mit ihrem Verlust zurecht zu kommen. Tiefe Gespräche zwischen Paula und Helmut, zudem viele Gedanken und Erinnerungen von Paula an ihren Bruder leiten die Kapitel ein. Die Schuldfrage steht sehr dominant im Raum und wird immer wieder aufgegriffen. Dem gegenüber sitzt dann der ganze Roadtrip. Der nicht mit typischen Klischees geizt und für einen Humor sorgen soll, der mir teilweise gefallen hat, oft aber ein Gefühl von: warum jetzt? hervorgerufen hat. Ich verstehe, dass die Autorin den Bruch da genau so haben will aber mir fiel es teilweise schon schwer, das so anzunehmen. Oft wirkte es zu platziert und zu doll gewollt, für meinen persönlichen Geschmack. Das Buch ist super geschrieben, ich hab es in knapp vier Stunden gemütlich weggelesen. Das lag am guten Aufbau und der Vorhersehbarkeit der Storyline. Ich werde gleich noch ein paar Zitate, die ich mir angestrichen habe unter den Eintrag setzen. Berührende Sätze die da sehr schön eingebaut sind. Also wirklich einfach nur schön. Und dem gegenüber steht dann drei Seiten später eine Pause am Waldrand, bei der Helmut, Judy und Paula auf einer Waldlichtung landen und dort einen Senioren FKK Club treffen. Beides für sich absolut okay nur fiel mir das teilweise sehr schwer beim lesen, so hinzunehmen.
Des Weiteren werden da Themen teilweise mit reingesetzt, die kommen einfach aus dem Nichts. Also eingearbeitet sind sie schon vernünftig aber sie wirken eben sehr „Das muss da nun noch rein!“ eingeschoben. Sei es eine kurze Feminismus Debatte, die über die normalerweise weibliche Stimme vom Navi losgeht oder die Franklin Expedition die nacherzählt wird, durch Helmut, abends beim Wein auf dem Campingplatz und einiges mehr. Trotz der guten Geschichte an sich wirkt für mich vieles so arg am Reißbrett konzipiert worden ist (was bei einem Roman nicht schlimm ist!), dass es eben auffällt. Und genau das stört mich ein bisschen.
Es ist ein Buch über den Tod, das Sterben an sich, Freundschaft, Mut und dem Willen weiterzumachen. Humor ist auch da, ja. Nur für mich manchmal zu plakativ positioniert, einfach zu gewollt und damit zu doll sichtbar beziehungsweise beim lesen spürbar. Aber Fazit: Kann man absolut machen, es ist eine gute Geschichte, ich bereue es nicht gekauft zu haben.
Zitate die ich mir markiert habe:
„Weil deine Stimme aus dieser Welt gefallen war und alle Worte mitgenommen hatte.“ (S. 24)
„Aber erst jetzt verstand ich, dass man nur wirklich einsam ist, wenn man zurückbleibt, wenn man übrig ist.“ (S. 52)
„Die Welt wartet nicht auf einen, das tut sie nie, glauben Sie mir - aber sie läuft einem auch nicht davon.“ (S. 68)
„Man kann das Leben nicht aufhalten, wissen Sie? Das geht nicht. Und den Tod kann man auch nicht kontrollieren, weil er nun einmal zu diesem bekloppten Ritt namens Leben gehört.“ (S. 187)
„Bei Leuten, die nicht leben wollen, bei denen ist das in meinen Augen anders. Nicht leben zu wollen heißt, gerade nicht da sein zu wollen, weil man das alles nicht aushält.“ (S. 190)
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