Martin Kordić - Jahre mit Martha

Dieses Buch habe ich gebraucht. Dieses wunderbare Gefühl, wenn man eine Geschichte liest und nicht aufhört, ehe sie fertig ist - einfach unbezahlbar. Genau das hatte ich hier. In einem Rutsch gelesen, ein Schreibstil zum niederknien und überraschend. Das Ende und einige Abbiegungen hatte ich so nicht erwartet, lag aber auch daran, dass ich komplett in der Story saß, viel nachgedacht habe, nur nicht vorausgedacht. Oft fallen mir Romane sehr schwer, da mir Geschichten zu weit gezogen oder einfach platt sind. Das war hier nie der Fall. Ich bin durch die 286 Seiten in gut vier Stunden gerauscht. Es lohnt sich sehr. 


 

Zusammenfassend kann man sagen: im Kern eine Liebesgeschichte, die fast beiläufig sehr viele wichtige Nebenschauplätze aufmacht und alles ineinander verwebt. Es geht um Željko, Rufname Jimmy, 15 Jahre alt und Professorin Martha Gruber, Alter ungewiss aber als die beiden sich zum ersten Mal treffen, hat sie bereits angegraute Haare. Die Verbindung kommt zu Stande, da Željkos Mutter bei Frau Gruber putzt. Im ersten Sommer, kommen die beiden sich näher, als Zeljko im Garten der Grubers hilft und 10 Mark pro Tag verdient. Martha flirtet, bleibt aber auf Distanz - denn es ist nicht richtig. Man begleitet Željko dann durchs Abitur, durch das Studium, Martha nimmt auch wieder einen Platz ein, sowie der ganze Familienbereich wird mit aufgemacht. Željko ist in Deutschland geboren, seine Eltern Kroaten aus Bosnien & Herzegowina. Der Vater ist so gut wie nie da, immer auf Montage in ganze Deutschland, die Mutter mit drei Putzjobs mehr als beschäftigt. Ljuba, die kleine Schwester hängt sehr an ihrem Bruder, Kruno ist der größere Bruder, der eine Karriere in der Verwaltung anstrebt. Ein Besuch in Bosnien, da der Großvater stirbt, nachdem Martha und Zeljko von einem Segeltrip in der Nordsee die Nacht bis ins bosnische Dorf durchfahren. Eine komplett wilde Studienzeit in München, mit einem Professor der Željko unter die Fittiche nimmt. Ein Schachspiel per Post, Uni Abschluss, Job, der Zusammenbruch und immer wieder taucht Martha auf. Klingt alles ein bisschen wild und ungeordnet, ich weiß. Das was dieses Buch ausmacht ist der Schreibstil von Martin Kordić, der alles so geschmeidig zusammengebaut hat, dass sämtliche Stories, Episoden wie aus einem Guss auf den Seiten steht. Sämtliche Abzweigungen stehen für sich, fügen sich aber komplett natürlich ins das Gesamtgefüge ein. Es hat mich einfach komplett fertig gemacht, wie gut das alles aufgeht. Das Buch hat zudem vier Teile, die für mehr Struktur sorgen. 

Denn es erzählt eben nicht nur die ungewöhnliche Liebesgeschichte zwischen einem Teenager und einer wesentlich älteren Frau, sondern beleuchtet viele gesellschaftliche Themen - als Beispiele die Angst vor Fremdenfeindlichkeit, der Leistungsdruck, Bisexualität, Nationalität, Identität, Familie, Hierarchien und vieles mehr. Da sitzt soviel in diesem Roman, es ist und bleibt beeindruckend. Vor allem ist es eben nicht arg verschachtelt oder metaphorisch, alles wird klar benannt und lässt sich nachvollziehen. Dieses Buch hat mir wieder gezeigt, warum ich so gerne lese. Es sind genau diese Geschichten, die ich lesen will. Vor allem, wenn sie so gut gebaut und geschrieben sind. Man kann das ganze auch ohne Metaebene angehen, es bleibt ein schönes Leserlebnis. Der Humor regelt. Ernste Themen haben ihren Platz, genauso wie schöne Momente oder Erfahrungen. Im Verlauf habe ich automatisch angefangen, Fragen zu stellen oder nachzudenken. Das war auch der Grund, warum mich manche Stellen überrascht haben. Klar, im Nachhinein gilt, man hätte es ahnen können. Ich saß nur viel zu sehr drin um diese Überlegung in Erwägung zu ziehen. 

Alle die eine gute Geschichte lesen wollen, gönnt euch dieses Buch. Für mich ist es wahrscheinlich eines der besten Bücher die ich 2024 (bisher) gelesen habe. 

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