Ismet Prcic - Scherben
Ein 442-seitiger Roman, der mir den Wiedereinstieg in eine Leseroutine sehr einfach gemacht hat. Lasst euch von der Seitenanzahl nicht abschrecken, denn das Buch ist, wie der Titel schon sagt, voller Scherben (kurze Kapitel, Einschübe, Briefe).
Scherben, die das Leben von der Romanfigur Ismet Prcić anhand seiner Tagebücher erzählen. Die Kindheit und Jugend in Tuzla (Bosnien und Herzegowina), die frühe Theaterleidenschaft (die auch die Chance zur Flucht bietet), die erste Liebe und all das inmitten eines Krieges der den Alltag unberechenbar macht.
Ich habe mich die ganze Zeit so gefühlt, als stehe der Protagonist in den Scherben seines Lebens und führt die Leserin, den Leser durch das Chaos und hebt besondere Scherben hervor, die ihn geprägt haben. Diese Prägung wird nach der Flucht aus Bosnien in die USA noch extremer. Der Rest seiner Familie, Mutter & Vater und ein jüngerer Bruder, bleibt im Kriegsgebiet, während er versucht in den USA sein Studium durchzuziehen. Alkoholismus, eine zum scheitern verurteilte Beziehung und die großen Fragen des Lebens machen ihm das eigene Leben schwer. Dargestellt im Buch vorrangig durch Briefe an seine Mutter. Die Schuld geflohen zu sein und alle im Stich gelassen zu haben, kristallisiert sich erst später heraus. Da wird dann nämlich auch klar, was mit der Figur Mustafa Nalić los ist, der auch immer wieder Kapitel im Buch übernimmt und von den Schrecken des Krieges berichtet, die er an der Front und in den Schützengräben erlebt hat. Die Kapitel sind auch extra gekennzeichnet, denn das sind, für mich zumindest, Scherben aus einem anderen Leben, die hier wahnsinnig gut mit eingebaut werden.
"Mein Damals war so dicht, so intensiv, wie mein Jetzt flüchtig ist." S. 122
Auf den letzten 25 Seiten bricht dann alles nochmal zusammen. Als wären es nicht schon genug Scherben, als wäre alles nicht schon genug kaputt. Es ist berührend, erschreckend und zeichnet ein sehr gutes, nachfühlbares Bild vom Krieg und dessen Auswirkungen auf die Menschen, ob an der Front oder eben genau davor geflohen.
Ich habe das Buch mal als Literaturtipp aufgeschnappt und es mir dann günstig Second Hand geholt. Es stand eine geraume Zeit bei mir herum und ich bin froh, es endlich gelesen zu haben. So eine gut konstruierte und gebaute Geschichte. Absolute Empfehlung.
"Nichts ist alles, weil es gar nichts gibt." S. 425
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