Maxim Znak - Zekamerone

Geschichten aus dem Gefängnis

Ein eher unscheinbares kleines orangenes Buch und doch ist die Welt und Realität die sich dahinter verbirgt so groß, unbekannt und wichtig. Maxim Znak wurde 1981 geboren und hat als Anwalt für Maria Kalesnikava gearbeitet. Sie ist eine der drei Frauen, die 2020 als Opposition gegen Lukashenko in Belarus bei den Präsidentschaftswahlen angetreten ist. Maria hat sich damals entschieden, nach den gefälschten Wahlen und den damit einhergehenden Protesten, Belarus nicht zu verlassen. Sie sitzt ihre Haftstrafe in einem Arbeitslager ab, ist gesundheitlich schwer angeschlagen und wie es da weitergeht, ist ungewiss. Aber zurück zum Autor des Buches. Maxim hat also als Anwalt für Maria gearbeitet und wurde am 09. September 2020 verhaftet. Im ersten Jahr saß er in verschiedenen berüchtigten Untersuchungsgefängnissen und genau dort sind die 100 kleinen Geschichten entstanden, die er in einem Notizbuch notiert hat und die in diesem Buch veröffentlicht worden sind. Wie sein Notizbuch nach draußen gelangt ist, weiß man nicht. Im September 2021 hat Maxim sein Urteil bekommen. Zehn Jahre Strafkolonie wegen „Gründung einer Terrororganisation“. Ich bin froh, dass seine Geschichten es in die Freiheit geschafft haben und ins Deutsche übersetzt wurden. Der Titel Zekamerone leitet sich vom russischen Wort zek für Häftling ab. 

Maxims Geschichten zeigen den Alltag in einem Untersuchungsgefängnis. Auszüge von einem Leben, das auf Stop steht und sich an die Umgebung erst gewöhnen muss. Es gibt Regeln, praktische Tipps für das Leben in einer Zelle, die die Gesamtsituation im kleinen Stil besser machen. Er arbeitet viel mit Ironie, sodass einem unwillkürlich mal ein Lächeln beim lesen auftaucht. Es sind eben kleine Geschichten aus einer Welt die kaum jemand wirklich greifen kann. Sie sind gut geschrieben, ein lockerer Schreibstil sorgt dafür, dass man es in einem Rutsch durchlesen kann. Hilfreiche Anmerkungen der Übersetzer und der Übersetzerin (Volker Weichsel & Henriette Reisner) sind für ein tieferes Verständnis und dem Erkennen von Wortspielen oder Vergleichen hinten im Buch zu finden. Bei näherer Betrachtung kommt die Schwere der gesamten katastrophalen Willkür des ungerechten Systems in Belarus zu Tage und der Drang alle weggesperrten Demonstranten und Demonstrantinnen aus diesen Löchern zu holen, wird erdrückend groß. All die Leute, die für freie Wahlen 2020 auf die Straße gegangen sind, all die Anwält/innen, die Kulturschaffenden, all die, die auf Telegram eine Reaktion hinterlassen haben (die der diktatorischen Regierung nicht gepasst haben) sitzen in diesen Gefängnissen und in den Strakolonien/Arbeitslagern. 

Einer der traurigsten Aspekte dieses Buches ist für mich persönlich die Tatsache, dass es den Menschen in Belarus, als Anleitung und Ansammlung von Tipps dienen kann. Absolut alle können in dieses Gefängnissystem rutschen. Sämtliche Haftbefehle oder Gründe sind komplett willkürlich. Wenn sie dich wegsperren wollen, machen sie das einfach. Maxim gibt allen einen Eindruck vom Alltag mit an die Hand. Für den Fall der Fälle. Es bricht mir das Herz. 

Ich habe die Proteste damals live via Social Media verfolgt und schaue auch jetzt immer noch mit einem wachen Auge rüber. Belarus ist gar nicht weit weg und trotzdem spielt die Situation vor Ort kaum noch eine Rolle hier. Es ist einfach soviel los in Europa und in der Welt, dass all die gefolterten und weggesperrten Menschen hinten über die Medienklippe fallen. Und auch deshalb ist dieses Buch von Maxim Znak so wichtig. Die Proteste gibt es in der Größenordnung wie 2020 nicht mehr. Die Konsequenzen sind für die Menschen vor Ort aber tagtäglich spürbar und hier bekommen sie einen literarischen Platz in Form eines unscheinbaren orangenen Buches. Diese Geschichten sind so unglaublich wichtig um den Fokus einzurücken und gegen das Vergessen. Die Eindrücke einer Realität, die nur schwer vorstellbar und doch da ist für so viele. Das sind die Bücher, die ich lesen will, denn näher komme ich an diese Realitäten nicht heran. Ich bin auf Übersetzungen angewiesen, auf Menschen die so mutig sind und solche Sammlungen irgendwie aus dem Gefängnis schleusen, auf Menschen die den Mut haben all das zu veröffentlichen und die daran arbeiten, all das zu veröffentlichen .

Ich hoffe sehr, dass ich irgendwann die Gelegenheit haben werde, in ein freies Belarus zu reisen. Das all die mutigen Menschen, die sich für freie Wahlen und Demokratie eingesetzt haben, mit erhobenem Haupt durch diese schweren Jahre gehen, denn sie sind das Belarus, dass ich irgendwann live erleben möchte. Auf den Straßen von Minsk, frei und voller Hoffnung für die Zukunft ihres Landes. 

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