Artem Tschech - Nullpunkt

 

Dieses Buch ist eine Sammlung von kurzen Einblicken in den Alltag des Autoren der für einen Einsatz an der Front rekrutiert worden ist. Vom Einzug, Ausbildung und dem Dienst an der Front. 64 Geschichten, keine ausgedachten, sondern Realität. 2015 - Krieg in der Ostukraine. 

2014 ging der Krieg los. Russland besetzte die Gebiete Luhansk und Donbas. Der Titel vom Buch Nullpunkt bezeichnet die Frontlinie an der sich sogenannten Separatisten (vor allem Russen) und ukrainische Truppen gegenüberstehen. Es ist ein zäher Krieg, ein Kampf um jeden Meter Erde. Aus europäischer Sicht kaum wahrgenommen, ist es umso stärker die Perspektive von jemandem zu lesen, der Vor Ort in den Schützengräben und Unterständen Wache schiebt. 

Es geht in diesem Buch nicht um Nationalismus, sondern um die Wandlung eines Autoren, in Kyjiw lebend, zu einem Soldaten, der mit Waffe in der Hand und seiner Truppe auf Wache an der Front steht. Wie völlig willkürlich zusammengewürfelte Menschen zu einem Trupp werden, auch wenn die Ansichten auseinanderdriften. Der Krieg macht sie alle gleich. Die Geschichten sind Auszüge aus dem Alltag in der Armee. Es wird nichts beschönigt, denn Korruption, fehlende Ausrüstung sowie Lebensmittelengpässe werden nicht ausgelassen. Das gehört leider mit dazu, genau so wie fehlende Führung von oben. So gut wie niemand weiß wo es hingeht und was gemacht werden muss, ein Chaos das durch eigene Einkäufe oder Lieferungen durch Volontäre etwas aufgebrochen wird. Gerade die Freiwilligen nehmen eine besondere Rolle ein. Oft liefern sie Lebensmittel, Munition, kugelsichere Westen, Socken, Kleider etc. Und genauso oft kommt Kram an, den niemand gebrauchen kann. Schwer da einen Mittelweg zu finden, denn man will diese mutigen Leute auch nicht vor den Kopf stoßen. Was Soldaten mit Säcken voller Frauenkleidung sollen oder mit einem Mal einfach 17 Säcken voller Osterbrot angekarrt werden - für 30 Soldaten auf dem Stützpunkt, wird wohl kaum jemand verstehen. 

Es sind aber auch die Geschichten über die Soldaten, mit denen Artem Tschech an der Front sitzt. Beeindruckende Persönlichkeiten, gescheiterte Persönlichkeiten, tragische Ereignisse oder der komplette Verfall. Nuanciert, präzise und mit wahrer Zuneigung erzählt. 

Die Perspektive ist es, die mich immer wieder zu diesen Büchern zieht. Ich sitze hier in meiner Bude und habe den Luxus mir die Kriege auf der Welt aus der Ferne anzugucken. Aufmerksamkeit schaffen, groben Überblick haben und wenn es möglich ist, Eindrücke wie zb dieses Buch lesen, sammeln und teilen. Ich verstehe alle die sagen, möchte ich nicht. Nullpunkt ist gut geschrieben. Durch die kurzen Kapitel kommt man eigentlich schnell durch, es sind eben Eindrücke und Momentaufnahmen. Mich hat dieses Buch nun fast zwei Wochen gekostet. Ich brauchte immer wieder Pausen, denn das was mich so unfassbar fertig gemacht hat, waren die Kapitel wo das Thema Hoffnung kurz auftauchte. Hoffnung das dieser Krieg bald zu Ende ist und sich alles löst. Fast 10 Jahre später lese ich das, mit dem Wissen, es ist alles noch viel schlimmer geworden. Das war für mich sehr schwer auszuhalten. 

Trotzdem - es ist ein Buchtipp und es ist ein wichtiges Buch. Es zeigt den Alltag in einem Krieg, der 2014 schon losging. 

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