Matthias Nawrat - Die vielen Tode unseres Opas Jurek
Das hier ist eines meiner absoluten Lieblingsbücher was den Schreibstil angeht. Es ist eine tragikomische Geschichte über eine Familie aus Polen, die es von Warschau ins oberschlesische Opole führt. Die Stadt wurde vom Krieg zerstört und dort baut sich Opa Jurek eine neue Existenz auf. Seine Kinder werden später nach Deutschland gehen.
Um mal etwas genauer zu zeigen, warum dieser Schreibstil so besonders ist, hier ein grobes Beispiel. Opa Jurek wurde in ein Arbeitslager gesteckt und dort ist er fast verhungert. Seinen Kindern und Enkeln sagt er das nie direkt. Auch die Gewalt die ihm dort angetan wurde, redet er immer etwas klein. Die Aufseher hatten auch ihre Anweisungen, er hat bestimmt nicht mit Absicht das Gewehr auf den Kopf eines Gefangenen fallen lassen. Er umschreibt alles, auch das er Jahre später noch Nahrung hortet und ihm essen so wichtig ist, wird nie direkt benannt oder begründet. Als Leser/in sitzt man aber vor diesem Buch und füllt den leeren Raum oder die Dialoge mit all dem Wissen, dass man sich angelesen hat automatisch. Das berühmte zwischen den Zeilen lesen. Nur muss man in diesem Buch einfach ganz normal lesen und alle Hintergründe, die nicht direkt benannt werden, landen klar und deutlich im Kopf. Man weiß sofort, was gerade von Opa Jurek verharmlost wird und das auch genau so zu schreiben, ohne das es auf den Seiten klar steht, ist für mich so spannend. Das muss man als Autor/in erstmal schaffen, Situationen oder Dialoge so zu schreiben, dass sie verharmlosend sind, beim lesen aber direkt ihre Bedeutung klar zu erkennen geben. Als wissender Leser, als wissende Leserin sorgt es zusätzlich für eine Ebene, die die Tragik von Geschehnissen noch verstärkt.
Wenn man eine Vergangenheit hat, die kaum auszuhalten ist und man sie mit allen Mitteln verdrängen will, dann kommt diese Form der Verharmlosung dabei heraus. Denn Nachfragen durch die eigenen Kinder oder hier dann auch durch die Enkel, gibt es immer wieder. Das typische „Alles gut.“ Phänomen kickt hier nochmal anders.
Hinten auf dem Buch steht dazu ein Zitat aus der Neue Zürcher Zeitung: Mit poetischer Verdichtung und Verfremdung erschafft Matthias Nawrat eine Welt im Schwebezustand zwischen Wirklichkeit und Phantasie.
Besser kann ich es auch nicht beschreiben. Die ganze Geschichte ist voller feinfühligem Humor, Tragik, Liebe und allem was zum Leben dazugehört. Und wie gesagt, dieser Schreibstil hat mich beim ersten lesen komplett beeindruckt. Wenn ihr also mal die Chance habt, dieses Buch zu lesen, es lohnt sich wirklich! Ich hab es mir mal in einem Schwung Bücher aus dem Sonderangebot geholt, der Titel klang nett. Es lag dann eine Weile hier im Haushalt herum und als ich es fertig gelesen hatte, konnte ich mir für mein gutes Händchen was Bücher angeht, gratulieren. Das ist ein Literaturschatz, den ich so noch in keinem anderen Buch gesehen habe.
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